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  • AutorenbildSilvia Dober

Vernunft, Engagement...oder doch nur verstrahlt?


Eines schönen Tages, über 30 Jahre ist es her, stand ein schwarzer Hund bei uns im Flur. Hier und da ein paar weiße Fleckchen, wie das Gegenteil von Stracciatella. Ein Kaiser-Wilhelm-Bart und eine abstrus fix wedelnde Antenne, der Schlagstock der Freude.

Ein Deutsch Drahthaar war eingezogen. Chico, 2 Jahre alt, jagdlich ausgebildet, stand nun in seinem neuen Zuhause, wo er noch garnicht wissen konnte, daß es das auch werden wird.

Er war erstmal nur total aufgeregt.

Wir Kinder auch, wegen Yippiieh!!!!

Tja, und nun? Ansage vom Vadda: der kommt mit zur Jagd.

Tolle Info, die wir Kinder nicht weiter verwertet haben.

Für uns war es ein Hund und somit einfach maximal super.

In der ersten Nacht lief Chico nur durch die Gegend. Er kam von einem Bauernhof, wo er unter den Fittichen eines Züchters sein geplant professionelles Leben erblickt hat.

Ein knuddeliger C-Wurf Schwarzschimmel.

Als wir morgens in die Küche kamen, am Korb des neuen Familienmitglieds vorbei, war Schnuffi zum Soul-Shopping gewesen. Von jedem aus der Familie lag etwas in seinem Korb. Nen Schuh, ne Jacke usw. Wir fanden das rührend.

Wenn es ihm hilft einzuschlafen, warum nicht?

Chico kam bei seinen Menschen an, wie Bombe… wobei wir uns bei manchen Sachen wunderten, denn da war er nicht wie bisher bekannte Hunde. Da war er anders. So ungebremst. So resistent. So… geh besser in Deckung.

Das krasse Gegenteil zu seiner familiären Präsenz. Da legte er den Schalter um…. man hörte ein leises Fiepen. Schon etwas kläglich, als ob er dabei nicht auffallen wolle. Natürlich guckt man, wenn der Vierbeiner fiept. Das lag am jüngsten Zweibeiner, der das Hundeohr zwischen seinen sprießenden Beißerchen testete.

Und Chico blieb liegen, damit dem Menschenwelpen nichts passiert.

Auf der Jagd allerdings, war wieder der Berserker da. Schuss. Freigabe aus Ablage und hinter der Beute her. Mit einem abstrusen Geläut, als ob einer inne Gießkanne hustete, knallte er durchs Unterholz.

Und war weg.

Ne ganze Weile. Echt lang. Besorgniserregend lang.

Er kam wieder in Sicht. Mit einem Wildschwein. Mit ohne Puls, auf der Seite des Wildschweins. Fassungsloser Blick auf den Apportierer. Den leckgeschlagenen Hund ratzfatz eingesammelt und ab zum Tierarzt.

Das Borstenvieh hat sich vehement gewehrt, verständlicherweise, und hat so unserem kleinen Hundi wirklich arg mitgespielt. Auch hier, kein Vorwurf an die Sau. Tiefer Riss an der Brust, tieferer Riss am linken Oberschenkel, am Schnipi tropfte das Blut raus und wir konnten von Glück reden, daß die Hauer nicht die Bauchdecke aufgerissen haben.

Bevor nun irgendwelche Diskussionen zum Thema Jagd kommen, darum geht es hier nicht.

Es geht darum zu zeigen, was ein Hund kann, was ein Hund macht.

Was einem Hund alles geschehen kann, wenn er auf die Weisung des Menschen handelt.

Wir waren nicht dabei, als er sich die Sau gekrallt hat. Wir wissen nicht, ob er das nächste Schwein in den Arsch gebissen hat, was er sah, oder ob es vielleicht gegen ihn ging.

Die nächsten Tage hing der kleine Spatz ein wenig in der Uhr, lief aber zeitnah unauffällig mit.

Mit anderen Hunden, konnte er nicht wirklich. Mit der Hündin des Nachbarn, umso besser, wie sich herausstellte. Vor allem, wenn die Gnädigste ihre hormonelle Anzeige geschaltet hat. Da klingelte sein Gehänge und der Hund war weg. Wir waren in Sorge, denn ein kopulationsbereiter Rüde denkt nicht oder logisch, bevor er über Straßen rennt.

Es rief auch schon mal der Nachbar an, daß unser Hund durch seinen Garten tigert.

Dagegen dürften wir gern etwas unternehmen. Also hin und den klötenlastigen Casanova wieder eingesammelt.

Das klappte nicht immer. Einmal holten wir Chico ab, als er bei der Hündin in der Kemenate saß. Mit einem Hopser war er über den 2m hohen Zwinger. Dann kann man sich vorstellen, wenn man sein entspanntes Gesicht und die leicht erledigte Präsentation seiner selbst sah, wie er die Nacht verbracht hat.

Und…die Welpen waren ein Abbild von ihm.

Chico fuhr liebend gern mit am Rad. Sportlich agil, eine gute Höhe und athletisch federnd ging es durch die Felder. Mal schneller, mal zockelten wir den Feldweg lang, mal lernte ich fliegen. Dann ließ er mich, wie einen Drachen, vom Fahrrad aus, die Lüfte erklimmen. Meine Güte, hab ich mit dem Hund schon auf die Nase gelegt. Aber so war er, wenn irgendwo etwas opferiges (Kaninchen, Wild, Katze) den Horizont erklomm.

Hat nen Puls, gehört nicht zur Familie, kann ich nicht knattern…kann weg. Logischer Schluss.

Und zuhause war er wieder das Schaf im Drahthaarpelz. Der Jüngste sitzt semiaufrecht im Garten und freut sich seines Lebens…der Hund asselte daneben ab. Und wehe es kam einer näher, der nicht zum elitären Kreis des Familie gehörte, als es unser Türsteher für vertretbar befand. Dann gab es ein Knurren, quasi Instant-Gewitter, und der Eindringling konnte sich überlegen, ob er den Blitzeinschlag verkraften konnte. Wie gesagt, Bellen war eher nix. Knurren und sich wie der letzte Tag seines Gegenübers präsentieren…als ob er es erfunden hätte.

Sein Lieblingsspielzeug war ein Hüpfball, den er im Akkord apportiert hat. Er trieb den Ball vor sich her, flog drüber, sprang drauf, motzte bei nicht sofortigem Erfolg. Dann freute er sich wie ein Schneekönig, wenn er endlich einen Griff des Balles in seinem Fang hatte und zu uns zurück kommen konnte.

Nicht atypisch für einen Jagdhund apportierte er leidenschaftlich. Und dann musste man auch aufpassen, was man warf, falls er auf die Idee kam, es sei für ihn gewesen.

Sein Freund, das Buchenvierkantstück. Er hatte eins als Zahnbürste. Das schlürte er rum und war selig damit. Macht man nun ein wenig Feuer und schmeißt Holz auf, muss man gucken, was man schmeißt. Denn Chico sprang ins Feuer, um sein Buchenholz zu holen. Für ihn war es nicht Feuerholz. Für ihn war es ein Apport, den er umsetzte, egal zu welchem Preis.

Man tobt mit Hundi im Garten, der Ball prallt von der Hauswand ab und fällt in die Regentonne.

Der Pflichtbewusste rennt zur Tonne, kommt so nicht dran und springt kopfüber rein. Auch da hätte er sterben können, denn er blieb mit den Oberschenkeln am Rand der Tonne hängen und war gefangen. Es ging nicht vor oder zurück, den Ball kann man wegen sowas auch nicht loslassen. Und irgendwelche Hirnis wollen den offensichtlich auch noch haben, denn die ziehen an mir rum. Wir bekamen den verdammten Hund nicht zu fassen und stießen vereint die schwere Tonne um. Chico wurde mit Ball auf den Rasen gespült, schüttelte sich und legte uns das Ding vor die Füße.

War was? Wat hasse denn? Schmeiß endlich wech!

Im Gegenzug hatte er alle Geduld der Welt, wenn man den ganzen Hund mit bunten Wäscheklammern spickte. Einfach, weil man als kleines Kind sowas toll finden. Hundi war nicht so begeistert, aber machte seinen Job als großer Bruder perfekt.

Bei Oma setze er die kleine Küche unter Wasser, während er mit Speichelsturz drauf wartete, daß sie das Leberwurstbrot fertig geschmiert hatte. Dann gab sie ihm die Scheibe in Häppchen und sagte bei jedem Haps: Nun schling doch nicht so, du musst das kauen! Dem Hund stand ins Gesicht geschrieben: Nun quatsch doch nicht so und lass den Nachschub nicht abreissen. Was auch mit ein Grund war, daß er bei Oma durch die Küchentür drängte, als ob er einen SEK-Einsatz fuhr.

Nach der Stulle rollte er sich auf dem Boden zusammen und war zufrieden eingeschnorchelt.

Mit dem Alter kamen, was auch sonst, die Wehwehchen. Die Verletzungen bei der Jagden zeigten auch nach Jahren des jeweiligen Ereignisses, was alles malat war. Damals wurde keine Physio gemacht, damals wurde man wieder, oder eben auch nicht. Damals gab es keine Nahrungsergänzung oder Immunstärkung. Damals gab es keine langen, oder geplanten, Ruhephasen und Phasen des Muskelaufbaus, denn ein Hund hatte zu funktionieren.

Die Grenze von Gebrauchshund und Gebrauchsgegenstand war fließend.

Irgendwann war er plötzlich über 15. Für einen großen Hund unter optimalen Bedingungen schon ein hohes Alter.

Ich schreibe von plötzlich, denn es kommt einem auch heute noch so vor, wenn man Hundehalter ist.

Es ist immer zu früh, es ist immer plötzlich.

Es ging ihm nicht mehr gut. Die körperlichen Probleme nahmen zu, er fiel um. Mehrfach. Konnte allein kaum noch aufstehen.

Und auch, wenn man es nie wahrhaben will, man muss gucken, ab wann man es für sich macht.

Wie lange ist es für den Hund noch gut?

Oder lebt er nur noch, weil ich feige bin?

So kam sein letzter Tag. Er benahm sich wie ein Jungspund, lief nahezu unauffällig, zerfräßte sein Buchenkantholz.

Aber war das so, weil es so war? Oder haben wir es nur so wahrgenommen, weil wir vor allem anderen Angst hatten und ihn nicht verlieren wollten.

Als er nachher im Garten lag, heulten wir.

Wir hatten einen Bruder verloren.

Ein Freund, der bar jeder Vernunft seine (gefühlte) Pflicht erfüllt hat. Der, komme was da wolle, auf uns achtete.

Der auf uns nen großen Haufen schiss, wenn er auf Amors Pfaden wandelte.

Ein Kämpfer, der auch im Traum auf Nachsuche ging.

Ein Freund, mit dem man sich im Garten in die Sonne legte und Schmetterlinge beobachtete.

Ich hab sie angeguckt. Er hat sie gepackt.




So viele Dinge werden in der heutigen Zeit mit Hunden anders gemacht, als es damals der Standard war.

Ich wollte nie einen Hund haben, wenn der damalige Weg der einzige war, einen Hund zu halten.

Hunde waren Besitz.

Hunde waren Arbeitsmaterial.

Hunde waren kaum Haustiere.

Und heute? Gilt für viele Halter obiges leider immer noch.

Doch die Entwicklung geht zum Glück auch weiter.

Hunde sind fühlende Lebewesen.

Hunde sind Kooperationspartner.

Hunde sind Sozialpartner.

Ich lebe und arbeite mit Hunden.

Für Hunde.

Chico, mein großes Löwenherz, verzeih mir, was ich damals nicht wusste.

Man bereut heute das, was gestern hätte sein können.

Ist Reue richtig, wenn man es zu diesem Zeitpunkt nicht besser wusste?

Oder es die Optionen nicht in gleichem Maß gab?

Mein Guter, ich denke oft an Dich.

Du beeinflusst mich immer noch.

Wir sehen uns wieder.

Silvia Dober

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