Silvia Dober
Nun ist es zwei Jahre her...
Vor zwei Jahren war es morgens klar, daß dies nun Deine letzte Nacht gewesen sein sollte. Der Leberkrebs hat sich rasend verschlechtert. Seit der Diagnose waren drei Wochen vergangen. Deine beiden Mädels, Lara und Gin sind im Abstand von 12 Tagen Ende September und Anfang Oktober gestorben. Von da ging es Dir zusehends schlechter. Auch Hunde trauern, wie wir Menschen. Manche tragen es nach aussen, werden eifersüchtig, zerstören das Inventar, fressen nicht, fressen nur noch. Hängen einem nur am Schlapp, oder ziehen sich zurück. Es spielte für Dich auch keine Rolle, daß Ellie noch da war und du weiterhin Rudelchef warst. Wenn man die Lebewesen verliert, mit denen man sein ganzes Leben verbracht hat, für die man sich verantwortlich gefühlt hat und auch gewesen ist, denen man fürsorglich verbunden war, dann fällt man in ein Loch. Schicksalsschläge treffen einen auch da, wo man es nicht direkt sieht. Herpes blüht auch auf, wenn es einem nicht gut geht und das Immunsystem angezählt ist (Stress, Krankheit). Du hast um Deine Mädels getrauert, genauso wie wir. Emotional gedämpft, aber durchaus angefahren. Und irgendwie bekam ich ein ungutes Bauchgefühl. Ich kenne meine Hunde. Wir haben Paddy damals im Alter von sechs Wochen bekommen und jeder hätte dem anderen ne Niere gespendet (würde sowas funktionieren, aber es geht hier um ein Bild). Anfang Januar habe ich den Augenstern eingepackt und bin zum Onkel Doktor. Der hat ihn mit Blutbild, Palpation und Sonographie auf links gezogen und wir sind ohne Befund nach hause. So weit, so gesund. Das Gefühl blieb dennoch. Wir lebten eine Weile, Theo war eingezogen und brachte für alle neue Aufgaben. Ebenso auch eine neue Perspektive und den Blick nach vorn, zumindest ab und an. Aber das schlechte Gefühl blieb. Dann kamen bei Paddy Verdauungsschwierigkeiten, er fraß weniger, bei ungebremstem Appetit. Alles, was er vermeintlich zuviel gefuttert hatte, kam wieder raus. Wieder zum Doc. Der meinte, er könne gern nochmal gucken, zückte den Schallkopf und hielt die Luft an. Im Grunde war Paddy schon tot, nur noch nicht umgefallen. Seine Leber strotze vor Tumoren. Von jetzt auf gleich stand ich in einem Tunnel, denn vor vier Monaten hatten wir erst zwei pfotige Familienmitglieder verloren. Und nun hatte Paddy sein Ticket gezogen. Und es ging schnell, denn drei Wochen vorher, bei der gleichen Untersuchung, war nix. Also nach hause und das gemacht, was wir bei Lara die letzten zehn Monates ihres Lebens taten: Hospitz. Kleinere Portionen, Essen nach Japs und nicht nach Vernunft/Gesundheitsaspekten, angepasste Spaziergänge, alles auf den schwindenden Seelenpartner zugeschnitten. An unserem letzten gemeinsamen Abend kamst Du zu mir. Hast dich vor meine Füße gelegt und ich hatte ein unglaubliches Gefühl von Abschied. Auch Liebe, Nähe und Dankbarkeit. Als ob Du sagen wolltest: war schön hier. Wir saßen alle drei auf dem Boden. Seit zwei Wochen schliefen Paddy, Ellie und ich im Wohnzimmer, denn die Fliesen waren dir lieber als Teppich und du konntest dir in deinem angeschlagenen zustand die Treppen sparen. Nach einer langen Zeit bist du aufgestanden und hast dich vor deinem Korb abgelegt. Was mache ich nun? Manche wollen nicht allein sein, wenn sie gehen. Manche wollen niemanden dabei haben, wenn sie die letze Reise antreten. So blieb ich vorm Sofa zurück, Ellie hatte sich bei mir eingerollt und machte keinen Mucks. Ich war unter Spannung und hörte meinen Herzschlag rauschend im Ohr. Jetzt nicht durchdrehen! Konzentrier Dich! Ab und an ein Blick über das Sofa. Er guckte mich an und wirkte ruhig und zufrieden. Ich lauschte weiter Paddy Atmung und wir schliefen ein letztes Mal zu dritt ein. Als ich morgens wach wurde, lag Paddy im Wohnzimmer und war so schwach, wie nie zuvor. Er war zwar in der Nacht nicht gestorben, dennoch heute soweit. Ich rief den Doc an und besprach mit ihm die Lage. Paddy war entspannt, ansprechbar und konnte sich mit Hilfe noch aufraffen. Wir machten das Treffen für mittags aus. Dann hatten wir noch drei letzte Stunden. Einen Galgenfrist, bis er es geschafft hatte und mein Herz vollkommen zerbrach. Was macht man mit drei Stunden? Alles, was geht und diese letzte Zeit wertvoll zu gestalten. Ich wich nicht mehr von seiner Seite. Unsere Physio wurde telefonisch über den Stand der Dinge informiert und stand eine Stunde später auf der Matte. Mit Tränen in den Augen gab sie seinem verblassendem Körper noch etwas Wohlgefühl mit auf den Weg. Und konnte ich selber auch verabschieden, denn auch sie kannte ihn seit Jahren. Immer wieder ließ ich Paddy wählen, ob ich bei ihm sein sollte, oder ob er vielleicht doch vor Eintreffen des Tierarztes allein sein wollte. Allein gehen wollte. Als es dann klingelte… ich will es nicht beschreiben. Der Doc stand im Wohnzimmer. Paddy sah in, wedelte mit der Rute und ging etwas auf ihn zu. Ich setzte mit zu meinem kleinen Spatz auf den Boden. Er lag zwischen meinen Beinen, den Kopf in meinen Armen und schnaufte ganz ruhig. Mir lief Rotz und Wasser. Ein letztes Mal stark seinem, um es dem Besten so angenehm wie möglich zu machen. Die Beruhigungsspritze wurde gesetzt. Während er in die Bewusstlosigkeit dämmerte, lobte ich ihn. „Das machst Du super. Gleich hast Du es geschafft, mein kleiner Spatz. Du Guter. Du bist der beste Paddy.“ Danke, daß Du in meinem Leben bist. Ich gab ihm ein letztes Mal ein gutes Gefühl. Ich kraulte ihm sanft die Öhrchen, wie ich es tausende Male gemacht hatte. Sein ganzes Mensch-Hund-Rudel war um ihn, als er wegdämmerte und uns nur seinen Körper zurückließ. Die Atmung war tief. Langsam. Gleichmäßig. Dann kam die zweite Spritze, die ihn zu Gin und Lara unter die Marone bringen sollte. Ich hielt seinen noch warmen Körper und meinen Armen und saß weinend, ihn umhüllend, auf den Fliesen. Ich roch ein letztes Mal den Duft seines unglaublichen Fells, fühlte den Unterschied zwischen weißen und schwarzen Flecken, hielt seinen Kopf in meinen Händen, ließ seine puscheligen Pfoten in meiner Hand ruhen. Fuhr mit den Fingern durch seine Mähne, wobei er sich sonst immer genüsslich dagegen gelehnt hat. In fünfeinhalb Monaten habe ich mein Rudel verloren. Alle an Krebs. Lara war neun, Gin und Paddy sind kurz vor ihrem 13 Geburtstag gestorben. Am Anfang konnte ich nicht hinten in den Garten gehen, weil es mich erschlug, wenn ich an meinem Rudel vorbeikam. Nach einer Weile wurde es besser. Es ist immer noch schlimm. Nachdem ich diese Zeilen geschrieben habe sehe ich aus, als ob ich nen Boxkampf verloren hätte. Es tut weh, sich daran zu erinnern. Die Tränen kommen wieder. Aber es ist gut so, denn es sind Emotionen, die ich mit meinen Mäusen verbinde. Ein Beweis, daß sie ein wichtiger Teil meines Lebens waren. Und, auch wenn man es in dem Moment nicht glaubt, es wird besser. Anfangs konnte ich nicht von meinen Kleinen sprechen, denn mir stand gleich das Wasser in den Augen, die Stimme schnürte sich ein und das Herz blutete. Durch den gnädigen Filter der Zeit, kann ich mittlerweile wieder von ihnen erzählen. Und genau das lässt sie weiterhin an meinem Leben teilhaben. Sie sind in bei meinem Unterricht dabei, indem ich von ihnen als Beispiel erzähle. Ich zeige Kunden Trainingsclips, bei denen meine verblichenes Trio die Hauptdarsteller sind. Durch meine Geschichten lernen sie Menschen kennen, die ich noch nicht mal kenne. So verhelfen sie post mortem anderen Hunden zu einem schöneren Leben. Man kann mich nun als sentimentale Tante abstempeln. Sagen, es ist doch nur ein Hund. Sagen, ich habe ja noch andere Hunde. Oder, ist doch klar, daß die Viecher vorher verrecken. Liebe Leute, wer sowas sagt, der hat nichts begriffen. Wer sowas sagt, der hat keinen Vierbeiner verdient. Für mich ist es ein Privileg einer so wertvollen Seele nah gewesen zu sein. Wer viel emotional investiert, erleidet einen großen Verlust. Dann leide ich beim Abschied eben wie ein Hund. Danke, daß Du in meinem Leben warst.
Silvia Dober
